Vom Hirntumor zum Kilimandscharo Gipfel - die Leseprobe.

Verschaffen Sie sich einen ersten Eindruck. Lesen Sie hier Auszüge aus drei Kapiteln. Viel Vergnügen!

Aus dem Kapitel "Von 100 auf 0 in drei Wochen"

Alles begann mit einem leichten Schwindelgefühl. Wie so oft arbeitete ich auch an diesem Tag verbissen bis in die späten Abendstunden. Ich verließ die Agentur als Letzter und kam erst gegen 21:00 Uhr nach Hause. Dort verspürte ich nach wenigen Minuten den Drang nach etwas Bewegung an der frischen Luft und beschloss, noch eine Runde joggen zu gehen.
   Es war erst Ende März, aber bereits so warm, dass ich mir lediglich eine dünne Jacke über das Funktionsshirt streifte. Ich entschied mich für meine Lieblingslaufstrecke durch den Englischen Garten, die grüne Lunge Münchens. Nach rund fünf Kilometern entspanntem Lauf stoppte ich abrupt neben einer Parkbank, stemmte die Hände in die Hüften und saugte tief die angenehm warme Nachtluft ein. Mir war schwindelig.
   Jeder kennt das Gefühl, wenn man nach langem, ruhigen Sitzen ruckartig aufsteht und dabei für einen kurzen Moment lang ins Taumeln gerät, weil der Kreislauf sich erst auf die neue Situation einstellen muss: Man fühlt sich unsicher und sucht nach Halt. Mein Schwindel verschwand allerdings selbst nach mehreren Minuten Stillstehens und Wartens nicht. Zögerlich setzte ich mich wieder in Bewegung und spazierte die gejoggte Strecke in gemächlichem Tempo zurück. »Du bist überarbeitet und musst beim Sport einfach ein bisschen langsamer tun«, redete ich mir ein. Wieder zurück in der Wohnung stellte ich fest, dass das Schwindelgefühl verschwunden war. Aber der Gedanke daran ließ mir keine Ruhe. Unter der Dusche ließ ich die Ereignisse der vergangenen Stunde Revue passieren. »Wird schon nichts sein«, beruhigte ich mich und verdrängte die Gedanken an ein mögliches Gesundheitsproblem. Erschöpft schleppte ich mich ins Bett und schlief sofort ein.

   Am nächsten Tag, es war der 1. April 1999, schien die Sonne. Von meiner Wohnung bis in die Werbeagentur legte ich täglich etwa zehn Kilometer auf dem Fahrrad zurück. Im Strom der radelnden Studenten, Schulkinder und Sportler kam ich morgens immer gut voran. An diesem Tag fiel mir allerdings etwas Außergewöhnliches auf: Jedes Mal, wenn ich an einer Ampel die kaum spürbare Bordsteinkante des Radweges hinauf- oder hinunterfuhr, übertrug die Wirbelsäule den leichten Stoß als blitzartigen Schmerz auf meinem Hinterkopf. Es fühlte sich an, als würde mir jemand mit der flachen Hand auf den Hinterkopf schlagen. Das Schauspiel wiederholte sich an jeder Ampel: Patsch – Klaps auf den Hinterkopf. Patsch. Patsch. Patsch.
 
   Ich war zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt und bis dahin immer kerngesund gewesen. Es gab also Grund genug, mir Sorgen zu machen. Verunsichert nahm ich mir vor, aufmerksam in meinen Körper hineinzuhorchen und auf weitere Symptome am Hinterkopf zu achten. Doch ein Arbeitstag in einer Werbeagentur lässt einem nur wenig Zeit sich intensiv mit sich selbst zu beschäftigen. Immer drängt irgendein Projekt. Ständig folgt ein wichtiger Abgabetermin auf den anderen. Meetings ziehen sich häufig stärker in die Länge als geplant. Als Mitarbeiter verzichtet man dadurch automatisch auf eine kurze Pause und ein wenig Erholung zwischendurch.


Aus dem Kapitel "Reha, und mein Comeback"

   Am 31. Dezember 2000 bot sich mir endlich wieder ein gewohntes Bild. Rund sechs Wochen nach der Entlassung aus der Reha und über zwei Jahre nach meinem Marathondebüt stand ich wieder an der Startlinie einer offiziellen Laufveranstaltung. Als der Startschuss fiel, setzten sich alle anderen Läufer in Bewegung. Ich jedoch hielt inne und genoss diesen besonderen Moment. Der Startschuss in Weilimdorf war mein persönlicher Startschuss zurück in die Welt des Laufens, mein Comeback. Ich schloss kurz die Augen, atmete tief durch und lief los.   Als ich die Ziellinie passierte, zeigte mein Armbanduhr 32 Minuten und 57 Sekunden an. Ich bekreuzigte mich, wie es südländische Fahrer beim Gewinn einer Etappe bei der Tour de France tun. Am Abend war Rebecca die Erste, der ich am Telefon von meinem Triumph erzählte. »Welcome back! Auf ein gutes neues Jahr!«, flüsterte sie in den Hörer.

Es wurde ein gutes Jahr. Im Januar 2000 herrschte erwartungsgemäß eine eisige Kälte in München. Ich fror erbärmlich, als ich Mitte des Monats nach fast zwei Jahren »Exil« wieder an meine alte Wirkungsstätte zurückkehrte. Die Geschäftsführer der Werbeagentur hatten eine Stelle für mich freigehalten. Mit ihnen vereinbarte mein Hausarzt eine Wiedereingliederung. Ich würde zunächst drei Monate lang am Vormittag vier Stunden arbeiten. Danach würde man weitersehen. So setzten wir es auch um.   

Und ich begann wieder mit dem Krafttraining. Nach den vier Stunden Arbeit fuhr ich mit der U-Bahn zu der Wohnung eines Freundes, in der ich für die ersten Wochen in München wohnte, und schlief vor Erschöpfung erst einmal zwei Stunden. Nach dem Aufstehen am Nachmittag griff ich zu meinen Hanteln, besser gesagt zunächst nur zu den Hantelstangen ohne zusätzliche Gewichte. Das genügte mir für den Anfang. Die Oberschenkel kräftigte ich mit Hilfe von Gewichten und auf einem Tisch sitzend.

Ende Januar 2001 suchte ich den Neurologen, der mich ins Klinikum Großhadern eingewiesen hatte, in seiner Praxis auf. Seit seiner Diagnose, »Da ist etwas, was da nicht hingehört«, hatten wir uns nicht mehr gesehen. Als wir uns nun in seinem Behandlungszimmer gegenübersaßen, warf er zunächst einen Blick auf die vor ihm auf dem Tisch liegende Patientenakte. Ich konnte erkennen, wie er die Arztberichte aus dem Klinikum Großhadern, aus der Strahlenklinik in Ludwigsburg und aus dem Robert-Bosch-Krankenhaus überflog. Dabei schüttelte er ständig den Kopf. Er schien nicht glauben zu wollen, dass vor ihm der junge Mann saß, der all das über sich hatte ergehen lassen, was da in den Berichten stand. Mit einer sachten Bewegung klappte er schließlich den Ordner zu, faltete die Hände und sagte dann in klaren Worten: »In Zukunft können Sie getrost aufs Lottospielen verzichten. Denn Ihren Sechser im Lotto hatten Sie bereits, Sie haben all das hier bis heute überlebt. Und ich kenne wenige, die nach dem Krebs wieder so fröhlich gestrahlt haben wie Sie. Herzlichen Glückwunsch!« Ein breites Grinsen in meinem Gesicht war die Bestätigung seiner Worte. 


Aus dem Kapitel "Vom Machame Gate zum Machame Camp: es grünt so grün"

 »Das sind sie«, sage ich zu mir selbst, »die ersten Meter unserer Sieben-Tage-Tour.« Dicht aneinandergedrängt passieren Sonja, Seraina, Matthias, Steffen, Thomas, Werner und ich den Eingang. Vor uns öffnet sich ein etwa vier Meter breiter Weg aus festgetretener Erde. Aus einer Laune heraus lege ich den Arm um Seraina und ziehe sie an mich heran und rufe: »Das ist er, das ist unser Berg!«

   Der Weg steigt sanft an. Einer der drei Junior Guides marschiert vor unserer Gruppe, die zwei anderen folgen uns laut schwatzend in einigem Abstand. Der Senior Guide ist nirgendwo zu sehen. Auf meine Rückfrage antwortet einer der Junior Guides, dass der »Boss« am Ziel der heutigen Etappe auf uns warten wird. Gemächlich setze ich einen Fuß vor den anderen. Mein Tempo entspricht offensichtlich dem Wunsch der Junior Guides. Denn wir sind noch keine fünf Minuten unterwegs, da hören wir alle zum ersten Mal das legendäre »Pole Pole!«. Nichts steht mehr für den Aufstieg auf den Kilimanjaro als der Ausspruch »Pole Pole!« – »Langsam, langsam!« Im 5-Minuten-Takt bläuen die Guides uns die Worte immer wieder ein. Einige aus unserer Gruppe fühlen sich dadurch bevormundet und fangen an, sich untereinander darüber zu beschweren. Ich denke mir: »Die Guides werden schon einen berechtigten Grund haben, langsam zu tun. Sie haben ja noch keine Ahnung, wie fit wir Gruppenteilnehmer sind, und wie wir die Höhe vertragen.« Das gemächliche Tempo kommt mir auch deshalb so entgegen, weil ich dadurch umso mehr Zeit und Muse habe, die fantastische Umgebung zu bewundern. Die Luft ist feucht, aber zu meinem Erstaunen ist es nicht warm. Wir sind zwar mitten im Regenwald unterwegs, aber jeder aus unserer Gruppe trägt eine dünne Jacke, manche auch eine Mütze. Die Bäume um uns herum ragen dermaßen hoch hinaus, dass ich die Wipfel nur erahnen kann. Die Baumstämme sind über und über mit Moos bewachsen, Farne säumen den Wegesrand. Nur zwei Meter vom Pfad entfernt stehen Büsche und Sträucher bereits so dicht und hoch, dass es ohne Machete oder Ähnliches kein Durchkommen gibt.
 
   Beim Wandern halte ich aufmerksam nach Tieren Ausschau. Ich rechne mit Spinnen, Schlangen, Affen, großen Insekten. Aber nichts dergleichen ist zu sehen. Und in den Bäumen höre ich nichts rascheln. Außer ein paar Vögeln, die sich trillernd bemerkbar machen, herrscht Stille im grünen Dickicht. Also konzentriere ich mich wieder aufs Laufen. Der Weg wird schmaler: Nun ist er nur noch etwa eineinhalb Meter breit. Die Bäume stehen merklich enger am Weg, fast so, als hätten sie sich heimlich an uns herangeschlichen. »Sascha, jetzt machsch ämol es Föteli vo mir. Ich häng mi a die Liane an dem Buum det«, erklärt mir Seraina unvermittelt und drückt mir ihre Kamera in die Hand.

Sie greift eine Liane und macht dazu ein angestrengtes Gesicht. Ich drücke ab. Seraina kontrolliert das Ergebnis auf dem Display und ist zufrieden. Es ist nicht der letzte Foto-Stopp des Tages.  Die Dimensionen der Urwaldriesen werden immer gigantischer. Im Vergleich dazu kommt mir ein deutscher Wald vor wie der einer Spielzeug-Eisenbahn. Dann passiert es: Plötzlich rutscht einer aus unserer Gruppe aus und kippt um ein Haar zur Seite. Er kann sich im letzten Moment noch abfangen. Der Weg ist unvermittelt schlammiger geworden, wir laufen auf dunkelbrauner Erde, die recht rutschig ist, man muss sich konzentrieren. Noch immer geht es eher moderat bergauf.

   Gegen 14:00 Uhr erreichen wir unser Zwischenziel, Mittagspause. Wir setzen unsere Rucksäcke ab, atmen tief durch und machen es uns auf Baumstümpfen bequem. Unsere Guides reichen Lunchpakete, nach denen wir dankbar greifen. Gespannt öffne ich meine Pappbox. Zum Vorschein kommen ein gekochtes Ei, ein Sandwich, eine gebratene Hähnchenkeule, eine kleine Packung mit Erdnüssen und ein Getränkekarton mit Orangensaft. Damit hatte ich nicht gerechnet. »Wow, was für ein Luxus!«, staune ich. Seraina lächelt, ein halbes Ei ist bereits in ihrem Mund verschwunden.

   Gestärkt machen wir uns eine Stunde später wieder auf den Weg. In meinen Oberschenkeln spüre ich, wie sich der Wanderpfad verändert: Die Steigung wird unangenehm, der Schweiß perlt mir auf der Stirn. Gott sei Dank trage ich Kleidung, die Feuchtigkeit nach außen transportiert. Beeindruckende Wurzeln ziehen sich nun quer über den Wanderpfad, wie Artisten turnen wir darüber. Dank unserer Wanderstöcke halten wir dabei unser Gleichgewicht. 

   Dann, gut eine Stunde nach unserer bequemen Mittagsrast, erscheint es, als ob jemand einen Samtvorhang zur Seite zieht – wie im Kino oder im Theater, von einem Schritt auf den nächsten verlassen wir den Regenwald und laufen plötzlich inmitten einer mystischen Heide- und Moorlandschaft. Verblüfft bleibe ich stehen. Es ist viel heller als eben noch im Wald. Um uns herum wabern Nebelschwaden, einige Sonnenstrahlen bahnen sich aber doch einen Weg hindurch. Die Flechten an den Baumgewächsen neben uns erstrahlen in einem hellen Silbergrau. Fasziniert genießen wir die Atmosphäre. Niemand spricht ein Wort. Und niemand würde sich wundern, wenn plötzlich eine Elfe oder ein anderes Fabelwesen aus dem Dickicht auftauchen würde. Mein Blick fällt auf die Höhenmeterangabe meiner Armbanduhr: »2.860« steht dort. Nur noch 150 Höhenmeter bis zum Camp!